Siedlungsentwicklung und Siedlungsbild

1 EINLEITUNG
In vielen Tälern Nordfriauls setzte nach dem Zweiten Weltkrieg eine Welle der Entvölkerung ein, die auch im Val Aupa, dem Untersuchungsgebiet, bis heute spürbar ist und sich im Landschafts- und Siedlungsbild niederschlug. In dem überwiegend landwirtschaftlich kultivierten Gebiet nahm die Verbuschung ihren Lauf. Insbesondere nach dem großen Erdbeben im Jahr 1976 wanderten
zahlreiche Bewohner ab und ließen sich in der Ebene häuslich nieder. Zurück blieben partiell bis gänzlich verlassene Dörfer als Spuren der Zivilisation. Die Häuser verfielen, wurden im Verlauf der Jahre zu Ruinen und die Natur bahnte sich ihren Weg. In den friulanischen Alpen ist diese Entwicklung im Ostalpenraum am stärksten ausgeprägt (vgl. Čede & Steinicke 2007). Sie sprechen in diesem Zusammenhang von Flurwüstungen bis hin zu sogenannten ghost towns, also komplett entsiedelten Ortschaften. Nordfriaul, gelegen im Nordosten Italiens, bildet für diese Entwicklung das „Schulbeispiel eines peripher gelegenen, strukturschwachen Raumes, in dem sich die Konsequenzen der Gebirgsentvölkerung besonders gut darstellen lassen“ (Čede & Steinicke 2007: 93).
Die Siedlungen, die im Zuge der Feldforschung erkundet wurden, zeichnen ein interessantes Bild: verfallene Häuser, lediglich Reste von Ruinen stehen noch als Zeugen einer vormals belebten Gegend, überwuchert von Efeu und diversen Gewächsen, wie auch Bäumen, die zwischen einstigen
Hausmauern hervorragen. Doch auch zwischen diesen finden sich liebevoll gestaltete, renovierte, kleine Häuser, die inmitten dieser Dörfer und Ghosttowns nunmehr wieder bewohnt sind. Mittlerweile kehren nach und nach Bewohner in ihre einstige Heimat zurück. Freizeitwohnsitze, Alterswohnsitze und Newcomer besiedeln zunehmend die verlassenen Weiler, Ortschaften und Dörfer.
Die angesprochenen Entwicklungen – sowohl die Entvölkerung des Gebietes, als auch die Wiederbesiedelung – prägen gegenwärtig das Siedlungsbild. Die Siedlungsentwicklung sowie das Siedlungsbild stehen im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen. Der räumliche Fokus dieser Arbeit liegt in den Montagna Friulana, im Val Aupa, dem Gemeindegebiet von Moggio Udinese zugehörig.

Abb. 1 bietet einen Überblick zum Forschungsgebiet, das hauptsächlich im Val Aupa, im Tal des Torrente Aupa, liegt. Berücksichtigt wurden überdies Ortschaften in den Seitentälern des östlich gelegenen Rio Alba (Riulade) sowie die des westlich gelegenen Torrente Glagno (Moggessa, di Là, Moggessa di Quà). Die Karte bildet sämtliche im Folgenden behandelten Orte ab.
Zunächst wird im folgenden Kapitel auf Einflussfaktoren eingegangen, die für das Siedlungsbild sowie die Siedlungsentwicklung im Val Aupa prägend sind. Der Hauptteil beschäftigt sich mit den Siedlungsbildern der im Zuge der Feldforschung im September 2017 besuchten Ortschaften. Hierzu wurden drei Siedlungstypen herausgearbeitet, die in Kapitel drei vorgestellt werden. Im Anschluss daran werden die einzelnen Ortschaften, nach Typen untergliedert, vorgestellt, um die Charakteristika der Siedlungstypen sowie der einzelnen Dörfer hervorzuheben.
Als Ausgangspunkt des Streifzuges durch das Val Aupa wird verstärkt auf Dordolla eingegangen, das den Hauptort des Tales darstellt und den vivid towns zugeordnet wird. Von hier aus führt die Spur weiter zu den Weilern Drentus und Virgulins, die zu Dordolla zählen. Weiter in Richtung Norden
befindet sich Bevorchians, aus mehreren Weilern bestehend. Hier wird insbesondere auf Saps, Gallizis und Belcis Bezug genommen. In der Folge wird der Rundgang nach Süden fortgesetzt. Hier wird auf Grauzaria sowie Chiaranda und Pradis eingegangen. Daran anschließend werden die im Zuge einer Wanderung besuchten Monticello-Dörfer (Badiuz, Borgo di Mezzo und Morolz) beschrieben, die als seasonal towns eingeordnet werden. Zuletzt wird auf die sogenannte Ghosttowns eingegangen, nämlich die beiden Moggessa’s (Moggessa di Là, Moggessa di Quà), die sich im Tal des Torrente Glagno befinden, sowie Riulade im Val Alba befindlich. Die Ausführungen gehen
auf die Siedlungsstruktur sowie auf weitere, das Siedlungsbild beeinflussende Faktoren wie landwirtschaftliche Strukturen, demographische Aspekte, Zustand der Gebäude oder frühere Nutzungen der einzelnen Dörfer ein.
Die folgenden Ausführungen zum Siedlungsbild der untersuchten Dörfer und Weiler stützen sich, sofern nicht anders angegeben, auf die im Feld erhobenen Daten. Dies umfasst sowohl Interviews, Befragungen, Kartierungen und Fotos, des Weiteren Eindrücke und Impressionen, die im Zuge der Feldforschung erhoben wurden und in den Forschungsberichten beschrieben sind.
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für beide Geschlechter.


Abb. 1: Das Untersuchungsgebiet des Val Aupa.

2 EINFLUSSFAKTOREN AUF DAS SIEDLUNGSBILD UND DIE
SIEDLUNGSENTWICKLUNG IM AUPATAL
Eine in den 1980er Jahren durchgeführte demographische und sozioökonomische Bestandsaufnahme Friauls zeigte, dass vor allem die nördlichen Bereiche zu den Problemregionen zählen. Besonders die abgelegenen Talschaften mussten seit dem Zweiten Weltkrieg schwere Bevölkerungseinbußen hinnehmen (vgl. Čede & Steinicke 2007). Auch das Aupatal blieb von dieser Entwicklung nicht verschont, was sich unweigerlich im Siedlungsbild und in der Siedlungsentwicklung niederschlägt.
Im Folgenden wird auf die Gunst- und Ungunstfaktoren des Aupatals in Bezug auf die Siedlungsentwicklung eingegangen (vgl. Abb. 2). Dabei sei zu erwähnen, dass kaum ein Faktor für sich alleine steht, sondern sich diese kreislaufartig selbst begünstigen.
Einen limitierenden Faktor stellen die naturräumlichen Gegebenheiten im Val Aupa dar. Durch das steile und schroffe Relief gepaart mit nährstoffarmen Böden, die keine optimalen Voraussetzungen für landwirtschaftliche Nutzung bilden und zur Erosion neigen, bieten sich weder die Talgründe, noch die Schwemmkegel oder Talschlüsse, als Siedlungsraum an. Hinzu kommen sehr hohe Niederschläge, die durch das stauende Hochgebirge und die Nähe zur Adria besonders begünstigt werden. Vor allem im Herbst kommt es zu Starkregenereignissen, die das Naturgefahrenpotenzial erhöhen.


Abb. 2: Gunst- und Ungunstfaktoren des Aupatals.

Das in Friaul verbreitete Erbverfahren der Realteilung, wonach der Besitz unter allen Erbberechtigten aufgeteilt wird, führt zur Zersplitterung der Gebäudestruktur (vgl. Abb. 3) und einer sich erzwungenen Kleinparzellierung der landwirtschaftlichen Flächen. Da der Großteil der Erben nicht mehr im Tal ansässig ist, kommt es zudem oft zum Verfall von Gebäuden und der Verbuschung von ehemaligen Nutzflächen. Für Kauf- oder Pachtinteressierte ist es logistisch und finanziell nahezu unmöglich alle Besitzer eines Hauses oder Grundstückes ausfindig zu machen, beziehungsweise eine einheitliche Summe mit allen Besitzern zu vereinbaren (vgl. Löffler et al. 2014). Dies führt wiederum zu verfallenen und leerstehenden Gebäudebeständen und verbuschten Freiflächen. Die Ansässigen litten und leiden aber nicht nur an agrarsozialen Ungunstfaktoren, denn auch der Mangel an Beschäftigungsmöglichkeiten im sekundären und tertiären Sektor trägt zur Abwanderung bei (vgl. Čede & Steinicke 2007). Ein Lichtblick ist und bleibt die nahe gelegene Papierfabrik.


Abb. 3: Beispiel für Realteilung in Drentus: Ein Haus, drei Hausnummern, drei Besitzer. Quelle: Wikipedia (2018).

Die jahrzehntelange Abwanderung äußert sich in einer Überalterung der Bevölkerung im Aupatal. Die Folgen sind sinkende Geburtenziffern und das Ausbleiben von jungen Generationen, die sich am Erhalt der Gebäudestruktur und der Kulturlandschaft beteiligen könnten. Der wachsende Verfall
sowohl des Siedlungsbildes als auch der Kulturlandschaft mindert die Attraktivität des Tales, wodurch das Interesse potentieller Zu- und Rückwanderer abnimmt. Daraus ergibt sich ein Teufelskreis, der von Abwanderung und Verfall geprägt ist (vgl. Čede & Steinicke 2007). Auch die Erdebenkatastrophe von 1976 leistete ihren Beitrag. Nachdem der Siedlungsraum weitflächig zerstört wurde, waren die Bewohner gezwungen in sogenannte prefabbricati, Fertighütten, entlang des Talbodens
oder am Talausgang umzuziehen. Viele betroffene kehrten nie mehr vollständig zurück und der Impuls zur Entstehung der Ghost Towns war gegeben, obwohl von mehreren Stellen Geld in den Wiederaufbau zerstörter Gebäude geflossen ist (vgl. Löffler et al. 2014). Nicht selten wurde nur ein Bruchteil der finanziellen Unterstützung für die Instandsetzung demolierter Häuser aufgewendet und mit dem übrigen Geld ein neues Haus in zentrumsnähe gebaut. Das Erdbeben bewirkte somit auch einen Wechsel vom traditionellen Baustil hin zu einfacheren und urbanen Bauweisen.
Ein weiterer nicht zu vernachlässigender Ungunstfaktor ist die schlechte infrastrukturelle Anbindung, sowohl aus technischer, als auch aus sozialer Sicht. Das Aupatal ist ausschließlich über die Strada Provinciale 112 entlang der Aupa, welche Moggio Udinese und Pontebba verbindet, zugänglich.
Ein öffentlicher Bus verkehrt auf dieser Straße mehrmals täglich, sodass die an der Hauptstraße gelegenen Ortschaften, wie Dordolla und Bevorchians, erreicht werden können. In die übrigen Ortschaften gelangt man nur über enge Nebenstraßen und Feldwege und einige Siedlungen, wie Moggessa die Quà und Riulade sind nur fußläufig erreichbar. Neben der Verkehrsanbindung ist zudem die Anbindung an das Kommunikationsnetz sehr rückständig. Mobilfunknetz und Internetanbindung ist nur partiell vorhanden, was das Arbeiten von Zuhause aus extrem erschwert. Auch die soziale Infrastruktur, wie Krankenhäuser, Bildungs- und Freizeiteinrichtungen sucht man im Aupatal vergebens. Dies ist nicht selten der Grund, warum Familien mit schulpflichtigen Kindern oder Pensionisten in nahegelegenen Zentren abwandern. Bis heute zeigt die Statistik immer noch Bevölkerungsverluste im Aupatal (siehe Bericht zur Bevölkerungsentwicklung), die gegen eine demographische Trendwende sprechen würden. Dennoch trifft man in Talschaften, auch in solchen, die besonders abgelegen sind, teilweise auf Bewohner außeralpiner Herkunft. Vor allem durch diese könnten neue Impulse ausgelöst werden, wie Renovierungs- und andere Aufwertungsmaßnahmen, die die Bergdörfer positiv verändern können. Es besteht sogar theoretische die Möglichkeit einer echten Vitalisierung durch nachkommende Generationen und Newcomer (vgl. Löffler et al. 2014).

3 SIEDLUNGSTYPEN IM VAL AUPA
Um die vorherrschenden Siedlungsbilder des Aupatals greifbar zu machen, bietet sich eine Typisierung der Ortschaften nach siedlungsspezifischen Merkmale an. Dazu wurden die Ortschaften in einem ersten Schritt nach den Kategorien Gebäudezustand und, ob die Häuser überwiegend dauerhaft,
saisonal und weitgehend unbewohnt sind, charakterisiert (vgl. Tab. 1). Die Zuordnung der Merkmale erfolgte nach folgendem Prinzip: Ein Merkmal gilt dann als erfüllt, sobald mehr als die Hälfte der Wohnhäuser einer Siedlung diesem zugeordnet werden können.


Tab. 1: Untersuchte Ortschaften.

Bei der Zuordnung lässt sich feststellen, dass die Entfernung zur Hauptstraße, welche durch das Tal führt, ein bestimmender Faktor ist (vgl. Abb. 4). Je schlechter eine Ortschaft an das Straßennetz angebunden ist, desto mehr nimmt der Gebäudeverfall zu und die Aufenthaltsdauer ab. So sind Dordolla, Chiaranda, Pradis, Bevorchians und Grauzaria ganzjährig bewohnt und der Baubestand ist weitgehend erhalten. Auch auf Drentus und Virgulins treffen diese Merkmale zu, obwohl sie nicht ideal erreichbar sind. Dies liegt vermutlich an der Nähe zu Dordolla und das Engagement von Kaspar Nickles, der in Drentus ansässig ist. Die Monticello-Dörfer (Badiuz, Borgo di Mezzo und
Morolz), die etwas weiter weg von der Hauptstraße liegen, sind überwiegend saisonal bewohnt und weisen einen weitgehend erhaltenen Gebäudebestand auf. Die beiden Moggessa-Ortsteile und Riulade sind unbewohnt. Der Gebäudezustand in Moggessa di Là ist aufgrund der Zufahrtsstraße etwas besser erhalten. Moggessa di Quà und Riulade sind nur fußläufig erreichbar,
was einen stärkeren Verfall der Gebäude erklären kann.
Jene Orte mit überschneidenden Merkmalsausprägungen wurden somit zusammengefasst, woraus drei Siedlungstypen abgeleitet werden können: vivid towns, seasonal towns und ghost towns, wie in Abb. 4 dargestellt. Bei der Zuordnung der Merkmale wird vom Status Quo im September 2017 ausgegangen. Um die Zuordnung in die drei Siedlungstypen nachvollziehbar zu machen, wird im folgenden Kapitel auf die Siedlungsbilder der einzelnen Ortschaften detailliert eingegangen.
Unter Typ 1, den sogenannten vivid towns, werden belebte Siedlungen zusammengefasst, in denen zu einem Großteil Personen, die ihren Dauerwohnsitz in dem jeweiligen Dorf haben, leben; gleichzeitig
aber auch Häuser als Freizeitwohnsitze genutzt werden. Teilweise kennzeichnet derartige Siedlungen die Tatsache, dass positive Impulse von Newcomern sowie durch andere Formen der Zuwanderung ausgehen und auch sonstige Aktivitäten, wie beispielsweise Festivals, zu einer Belebung
der Siedlung und / oder der Region, beitragen können. Der Baubestand in diesen Siedlungen ist weitgehend gut erhalten und die Häuser sind überwiegend ganzjährig bewohnt. In diesen Siedlungen fielen gepflegte Zier- und Gemüsegärten auf. Dies betrifft insbesondere den Hauptort des
Val Aupas, nämlich Dordolla, aber auch weitere Dörfer wie Grauzaria, Pradis, Chiaranda und Bevorchians.
Unter seasonal towns werden Dörfer zusammengefasst, deren bewohnbaren Häuser überwiegend als Freizeitwohnsitze genutzt, also größtenteils saisonal bewohnt werden. Hierbei fiel auf, dass einige der Häuser liebevoll hergerichtet sind, andere wiederum verlassen wirken. Der Baubestand ist auch in diesen Siedlungen weitgehend erhalten sowie die Flächen rund um die Siedlungen gepflegt. Zu diesem Typ wurden die drei Monticello-Dörfer – Badiuz, Borgo di Mezzo sowie Morolz – zugeordnet.
Voraussetzung für die Einordnung in den Typ der Ghost towns ist, dass die Siedlung überwiegend unbewohnt ist. In diesen Siedlungen lebt niemand dauerhaft; in jüngster Zeit werden wenige Häuser hergerichtet und saisonal genutzt. Im Unterschied zu den seasonal towns betrifft dies aber nur
einen sehr kleinen Anteil des Baubestandes. Außerdem sind diese weniger gut hergerichtet, der Großteil der Häuser ist aber baufällig oder gar verfallen. Im Extremfall wachsen Gewächse die Mauern hoch, Bäume aus den Häusern empor. Dazu zählen die beiden Siedlungen Moggessa di Quà sowie Riulade. Moggessa di Là stellt hierbei einen Sonderfall dar: Trotz des weitgehend erhaltenen Gebäudebestands wird das Dorf als ghost town typisiert, da es überwiegend unbesiedelt ist und eine Begehung der Siedlung den Eindruck einer verwahrlosten Siedlung bot.


Abb. 4: Siedlungstypen im Val Aupa.

4 SIEDLUNGSBILDER IM VAL AUPA
4.1 VIVID TOWNS
DORDOLLA
Rund sieben Kilometer nördlich von Moggio Udinese liegt Dordolla, die gegenwärtig größte Ortschaft im Aupatal. Sie erstreckt sich auf einer 630 m hoch gelegenen Terrasse oberhalb des Talbodens auf der orographisch rechten Seite. Die Zufahrt erfolgt über die neu errichtete Brücke über
die Aupa auf der Ostseite des Tals. Fußläufig ist Dordolla von der Nordseite ebenso über eine Hängebrücke weiter taleinwärts zu erreichen. Die Zufahrtsstraße endet nach etwa 500 m am zentralen Parkplatz, der rund 35 Autos Platz bietet und an die von Fähnchen eingerahmte Piazza angrenzt.
Von diesem Punkt aus ist der bergauf gelegene Siedlungskern nur noch zu Fuß erreichbar. Alle Bedarfsgüter, von Lebensmitteln bis hin zu Baumaterialien und –geräten, sind mittels Rodel, Schubkarren und ähnlichem zu transportieren. Da sich so auch einfache bauliche Maßnahmen und Renovierungen als aufwändig herausstellen, konnte in Dordolla bis heute ein recht harmonisches Ortsbild erhalten bleiben. Manche sprechen sogar von venezianischem Flair, wie im Volksmund: „Venezia è bella, Dordolla è sua sorella.“ (Venedig ist schön, Dordolla ist seine Schwester) (vgl. Pilgram et
al. 2010).


Abb. 5: Blick auf Dordolla. Foto: Michaela Seewald (2017).

SIEDLUNGSBILD
Die kleine Piazza und vor allem die Bar Da Fabio mit Alimentari stellen das Zentrum des gesellschaftlichen Lebens des Ortes dar, was unter anderem am mehr oder weniger verlässlichen Internetzugang liegen könnte. Sie ist die einzige Bar im Tal mit geregelten Öffnungszeiten (365 Tage im Jahr). Neben dem Barbetrieb kann auf Vorbestellung gegessen werden und es ist ein kleiner Lebensmittelladen für Notfälle integriert. Neben der Bar steht die nach dem Beben wieder aufgebaute Kirche St. Florian mit angrenzendem Friedhof (vgl. Abb. 5). An der Piazza befinden sich zudem ein Gemeindehaus, ein Kriegerdenkmal mit Brunnen und das asilo e Ricreatorio. Das im Barockstil
gehaltene Gebäude wurde ursprünglich als Kindergarten für die in der Landwirtschaft arbeitenden Frauen gebaut. Heute wird es als Kultur- und Veranstaltungszentrum genutzt.


Abb. 6: Dorfplatz mit Brunnen. Foto: Jesabel Künzel (2017).

Begibt man sich von der Piazza hinauf in den eigentlichen Siedlungskern begibt, passiert man ein Ackerstück, das hauptsächlich vom einem in Drentus ansässigen New Farmer bestellt wird, in der Brache aber auch als Schauplatz für diverse Veranstaltungen genutzt wird. Das Herzstück der Siedlung bildet ein kleiner Dorfplatz mit Brunnen (vgl. Abb. 6), von wo aus ein enges und unstrukturiertes Netz aus Gassen durch die kompakt gebauten und weitgehend intakten Häuser der Dordollesi führt. Charakteristisch grenzt eine Hausmauer unmittelbar an die des Nachbars. Das traditionelle Baumaterial ist Stein, wobei inzwischen verputzte und bunte Hausfassaden dominieren. An einigen Hauswänden sind Unterstützungen aus Eisen erkennbar, um weiteren seismischen Aktivitäten standzuhalten. Der althergebrachte Stockwerkbau der Wohnhäuser ist nur noch selten erkennbar. Traditionell besaß jede Familie eine Kuh, welche sie nahezu das ganze Jahr über im Stall im Erdgeschoss
hielt. Die Wohnräume, bestehend aus einer Küche im Zentrum und den Schlafzimmern, befanden sich in den oberen Stockwerken. Da es Tierhaltung in dieser Form nicht mehr gibt, wurden die Ställe zu Wohnräumen umgebaut. Die Auswirkungen der Realteilung im Erbrecht sind an der Gebäudestruktur direkt erkennbar. Mehrere Eingänge, unterschiedliche Renovierungsstadien oder Fassadenfarben geben immer wieder Hinweise darauf, dass das Gebäude mehrfach unter den Erbberechtigten aufgeteilt wurde.
Der Siedlungsbereich wird umringt von steilen und gepflegten Wiesen und Hausgärten sowie Acker- und Gartenflächen, wo die Dordollesi an die Tradition der Selbstversorgung anknüpfen (vgl. Abb. 7). Zu den traditionellen Gemüsesorten zählen beispielsweise Kartoffeln, Bohnen und Mais.
Zentrumsnah befinden sich kleinere Parzellen. Ebene Flächen werden als Äcker oder Gemüsegärten genutzt, an den Hanglagen befinden sich hauptsächlich Mähwiesen und Weideflächen. Die vielseitige Nutzung auf engem Raum führt zu einem stark differenzierten Landschaftsbild. Mit zunehmender Entfernung vom Zentrum nimmt die Kleinparzellierung ab. Vor allem im Süden und Osten sind großflächige Mähwiesen und Weideflächen vorhanden. Diese lassen entweder auf einheitliche Eigentümer oder größere Parzellen schließen. Je weiter man sich vom Siedlungskern entfernt, desto stärker dominieren Verbuschung und Verwaldung.
Da jedem Grundstücksbesitz ein Stück Land zugehörig ist, werden auch hier die Einflüsse des Erbverhaltens sichtbar. Ähnlich wie beim Gebäudebestand werden auch die zugehörigen Flächen auf die Erben aufgeteilt, wodurch sich die kleinräumige Parzellierung erklären lässt. Einhergehend mit der Abwanderung und dem Aufgeben der Landwirtschaft kommt es so vor allem auf brachliegenden Flächen im Extremfall zur Flurwüstung.

 


Abb. 7: Blick auf die Hausgärten der Bewohner Dordollas. Foto: Michaela Seewald (2017).

SIEDLUNGSSTRUKTUR
Die Innsbrucker Arbeitsgruppe „Demographic Change in the Alps“, unter der Leitung von Ernst Steinicke, führten 2015 eine funktionsräumliche Kartierung von Dordolla und Drentus. Hierbei wurden Informationen zum Einwohnerstatus durchgeführt, die in Abbildung 11 dargestellt sind. Die
folgende Analyse der Siedlungsstruktur bezieht sich ausschließlich auf Dordolla. Genaueres zu Drentus findet sich in Kapitel 3.2. Für die Diagramme werden die Absolutwerte herangezogen.
Der Gebäudebestand zum Zeitpunkt der Kartierung beläuft sich auf 133 Gebäude. Davon sind sieben so verfallen, dass sie als Ruinen kategorisiert werden können. Sie befinden sich zum einen im Siedlungszentrum, zum anderen hangaufwärts nordöstlich am Siedlungsende. Weitere 17 Gebäude,
im Ortskern befindlich, sind leerstehend. Dabei ist anzumerken, dass sich mindestens eines der Häuser, das 2015 als leerstehend kartiert wurde, inzwischen bewohnbar gemacht wurde. Dabei handelt es sich um das Nonna-Haus am Fuß des Zugangs zum Dorfplatz, welches von Kaspar Nickles und seiner Frau, die in Drentus wohnhaft sind, an Touristen vermietet wird. Dies ist ein gutes Beispiel für die fortschreitende Revitalisierung der Siedlungsstruktur. Die übrigen 109 Gebäude werden für private, öffentliche und wirtschaftliche Zwecke genutzt.


Abb. 8: Gebäudebestand in Dordolla.

Zu den knapp 110 Gebäuden zählt die bereits angesprochene Bar da Fabio an der Piazza durch ihre vielseitigen Funktionen in die Kategorien Restaurant, Bar und Geschäft fällt. Zusammen mit den drei Unterkünften bilden sie die einzigen wirtschaftlich genutzten Gebäude in Dordolla. Zu den Übernachtungsmöglichkeiten zählt neben dem abgesprochenen Nonna-Haus und das wenige Meter entfernte Renzo-Haus, das vom gleichen Besitzer vermietet wird. Bei dem in der Kartierung als Unterkunft mit Bauarbeiten ausgewiesene Gebäude handelt es sich um einen begonnen Neubau.
Beim Studienaufenthalt im September 2017 konnten allerdings keine baulichen Fortschritte festgestellt werden. Geplant war ein Hotel gehobenen Standards mit Wellnessbereich. Es besteht der begründete Verdacht, dass der Bau aus administrativen Gründen in näherer Zukunft nicht fertiggestellt
werden kann. Die dritte in der Kartierung verzeichnete Unterkunft ließ sich 2017 ebenfalls nicht bestätigen. Um die Piazza verteilt befinden sich die vier öffentlichen Gebäude: Die Kirche mit angrenzendem Friedhof, das Gemeindehaus und das Kulturzentrum. Weitere 43 Bauten, vor allem
kleinere Gebäude, werden von den Bewohnern als Lagerräume, Abstellkammern oder Garagen benutzt. Sie lassen sich in der ganzen Ortschaft verteilt finden. Die übrigen 58 Gebäude werden sowohl von den Dordollesi, als auch von Zuwanderern als Wohngebäude genutzt. Diese zentrieren sich vor allem im Siedlungsmitte, wenige Bewohner zieht es die steilen Hanglagen hinauf.


Abb. 9: Gebäudenutzung in Dordolla.

Es werden 35 der 58 Wohnhäuser ganzjährig bewohnt (grün), die übrigen 23 bilden Zweitwohnsitze (rot). Die ganzjährigen Wohnhäuser werden zum Großteil von Einheimischen bewohnt. Zudem zählen 13 ganzjährig genutzte Gebäude als Besitz neuer Zuwanderer, von denen drei in Dordolla
verwurzelt sind. In weiteren vier Häusern leben das gesamte Jahr über Rückwanderer, die es in ihrer Pension nach Dordolla zurückverschlagen hat. Nahezu alle Zweitwohnsitze befinden sich im Besitz von Einheimischen. Nur zwei der 23 sporadisch genutzten Wohnhäuser werden von Newcomern bewohnt, von denen zumindest Einer Wurzeln in Dordolla aufweist. Beim Blick auf die Kartierung fällt auf, dass sich die Zweitwohnsitze großteils auf das Zentrum beschränken. Eine Interpretation dieser Struktur wäre jedoch mehr als vage, da sich der Erwerb von Häusern in der gesamten Ortschaft als schwierig gestaltet und persönliche Präferenzen von Kaufwilligen in den
seltensten Fällen Berücksichtigung finden.


Abb. 10: Wohnstatus in Dordolla.


Abb. 11: Dordolla aus der Vogelperspektive (unten). Flächennutzungskartierung und Einwohnerstatus Dordolla (oben); Abbildung zur Verfügung gestellt von der Arbeitsgruppe „Demographic Change in the Alps“, Leitung: Univ.-Prof. Ernst Steinicke, Institut für Geographie, Universität Innsbruck (2015).

HERAUSFORDERUNGEN
Wie zu Beginn erwähnt ist der Siedlungskern nur fußläufig erreichbar. Dadurch ist der Transport von Baumaterial und Maschinen für Bau- und Renovierungsarbeiten nur eingeschränkt möglich. Auch die Realteilung hat Folgen für das Siedlungsbild. Die Auswirkungen der Realteilung im Erbrecht sind nicht nur an der an der Gebäudestruktur direkt erkennbar. Mehrere Eingänge, unterschiedliche Renovierungsstadien oder Fassadenfarben (vgl.
Abb. 6) geben Hinweise darauf, dass das Gebäude unter den Erbberechtigten aufgeteilt wurde. Setzt sich dieser Prozess fort, ist es keine Seltenheit, dass über 20 Besitzer auf ein Haus kommen. Da diese selten in Dordolla ansässig sind, gestalten sich die Renovierungsarbeiten oder der Verkauf logistisch schwierig, wodurch es nicht selten zum Verfall der Häuser kommt. Durch die dichte und geschlossene Bauweise beeinträchtigen verfallende Häuser zudem die Nutzbarkeit der umliegenden Häuser oder gefährden diese sogar (vgl. Löffler et al. 2014). Aber auch in den landwirtschaftlichen Nutzflächen um den Siedlungsbereich werden die Folgen der Realteilung sichtbar. Die kleinen Parzellengrößen erschweren vor allem die Nutztierhaltung, da es kaum zusammenhängende Weideflächen in entsprechender Größe gibt. Des Weiteren kommen die standortspezifischen Ungunstfaktoren hinzu. Nährstoffarme Böden, das steile Relief und das extreme Klima, geprägt von Starkniederschlägen, wirken sich als limitierende Faktoren auf die landwirtschaftliche Nutzbarkeit aus. Der geringe Ertrag rechtfertigt die aufwändige Pflege nicht, sodass die langsam einsetzende Verbuschung den Verfall der jahrhundertelang gepflegten Kulturlandschaft
unterstützt und sich wiederum negativ auf das Siedlungsbild auswirkt.

AUSBLICK
Insgesamt zeichnet sich in Dordolla ein Aufschwung im Siedlungsbild ab. Vor allem die Durchmischung von Newcomern und Alteingesessenen führt zu neuem Tatendrang und neben gesellschaftlichen Events wird auch an der Siedlungsentwicklung gearbeitet. Alte und verfallene Gebäude werden mit Hilfe der neuen, meist jungen und motivierter Zuwanderer aufgewertet. Einige, vor allem ein junger Kärntner, gehen aktiv landwirtschaftlicher Tätigkeit nach. Sie sind bemüht der Verbuschung entgegen zu wirken und leisten einen wertvollen Beitrag zum Erhalt der Kulturlandschaft. Außerdem begünstigten ein steigender Bekanntheitsgrad und eine intakte Dorfgemeinschaft den
Zuzug von weiteren Zu- und Rückwanderern, wodurch leerstehende Immobilien und die zugehörigen Nutzflächen gekauft und genutzt werden. Ein Ausbau der Infrastruktur, sowohl im Bereich der Telekommunikation als auch im Bereich des Straßen- und Wegenetzes, könnte diesen Trend positiv
unterstützen. Die Wahrscheinlichkeit, Unterstützung für Infrastruktur und Renovierungen zu erhalten, wächst mit jeder Familie, da es kaum externe Hilfe gibt, sondern diese hauptsächlich über private Initiativen erfolgt. Auch freizeitorientierte Zweitwohnbesitzer stellen nicht zwangsläufig eine Belastung für die Dorfgemeinschaft dar. Die Steuereinnahmen können dazu verwendet werden die Revitalisierung zu finanzieren. Kunst- und Kulturprojekte fördern den Bekanntheitsgrad und touristische Einrichtungen, wie das Agritourismo im Zentrum Dordollas können eine Existenzgrundlage schaffen. Diese führen zur Inwertsetzung der seit Jahrzehnten von Verfall und Entvölkerung geprägter Regionen (Löffler et al. 2016).

DRENTUS UND VIRGULINS
Zu Fuß über einen schmalen, kurzen Waldweg von Dordolla aus, oder mit dem Auto taleinwärts von der Hauptstraße abfahrend, sind die beiden Weiler Drentus und Virgulins erreichbar. Auch entlang des Fahrweges erstreckt sich auf beiden Seiten ein Waldgebiet, das die vormals landwirtschaftlich
genutzten Wiesen zurückerobert hat. Erst gegen Ende des Weges, rund um die beiden Weiler, weicht der natürlich gewachsene Wald dem menschlichen Einfluss. Die wenigen Häuser von Virgulins sind längs entlang der asphaltierten Straße angesiedelt, rundherum größtenteils nur sporadisch gemähte Wiesen, ehe der Haselnussbestand in dichten Wald übergeht. Wenige hundert Meter weiter ist der Weg zu Ende, wo sich die Häuser des Weilers Drentus befinden. Hier sind ebenfalls die landwirtschaftlich genutzten Felder, die regelmäßig gepflegt erscheinen. Die beiden auf rund 700 m gelegenen Weiler weisen eine geringe Bevölkerungszahl auf, die im Verlauf der letzten Jahre nahezu unverändert blieb (vgl. Gemeinde Moggio Udinese
2017). In Drentus, dort ist auch die Familie des Newcomers oder Amenity Migrant Kasper Nickles ansässig, sind die sechs Häuser derzeit zeitweise oder dauerhaft bewohnt. Wie Löffler et al. (2016) in ihren Untersuchungen erhoben, sind derzeit drei Häuser permanent bewohnt; darunter ist das Haus von Kasper Nickles mit seiner Familie, ein weiteres Haus wird von einer Person bewohnt, die im Ruhestand wieder in ihre Heimat zurückgekehrt ist.
Zwei Häuser werden als Zweitwohnsitz genutzt. Die weiteren Gebäude sind landwirtschaftlich genutzte Gebäude sowie Abstellräume und Garagen. Vergleiche dazu. Insofern sämtliche Gebäude in Drentus dauerhaft oder zeitweilig genutzt werden, befindet sich die Siedlung in relativ gutem, gepflegtem Zustand. Dieser Eindruck ist ebenfalls für die daran angrenzenden, kultivierten Wiesen zulässig, die regelmäßig und gut gepflegt werden.
Der Aufenthalt in Virgulins hinterlässt einen etwas anderen Eindruck: Hier ist ein Einwohner ansässig, ein weiterer hat hier seinen Freizeitwohnsitz. Dementsprechend sehen diese Gebäude recht gepflegt aus, wie beispielsweise im Hintergrund in Abb. 12 ersichtlich. Die weiteren Häuser machen demgegenüber einen etwas vernachlässigten Eindruck.


Abb. 12: Mähwiese in Virgulins. Am linken Bildrand eine Ruine, dahinter ein Freizeitwohnsitz. Foto: Michaela Seewald (2017).

Einen Dorfkern im Sinne eines sozialen Miteinanders und mit öffentlichen Einrichtungen weisen beide Weiler nicht auf. Virgulins ist durchquert von einer Straße, entlang der sich die Häuser befinden. Drentus liegt am Ende dieser Straße. In beiden Ortschaften bilden die Häuser den Kern, um den sich die landwirtschaftlichen Nutzflächen nahezu kreisförmig ausbreiten. Die nächstgelegenen öffentlichen Einrichtungen wie Kirche oder Café befinden sich im Hauptort Dordolla. In unmittelbarer Nähe sind zwei gänzlich unterschiedliche Kategorien von Siedlungsentwicklung auffällig: Drentus ist insbesondere von Impulsen des Newcomers Kasper Nickles gekennzeichnet,
die Siedlung als auch die Umgebung hinterlassen einen überaus gepflegten Eindruck; dazu trägt auch die Tatsache bei, dass die weiteren Häuser als Alterswohnsitz sowie Ferienwohnsitze genutzt werden. In Virgulins hingegen ist die Abwanderung augenscheinlich, die verfallenen Häuser zeugen
davon; lediglich zwei Wohnsitze werden hier offensichtlich weiterhin betreut.

BEVORCHIANS
Bevorchians ist eine Ansammlung verschiedener Weiler nördlich von Dordolla. Im Folgenden werden die Ortschaften Saps, Belcis sowie Gallizis, die im Rahmen der Feldforschung besucht wurden, besprochen.
Saps liegt, von der Hauptstraße abfahrend, einen kurzen Anstieg in Serpentinen bergaufwärts, auf einer Höhe von etwa 720 m. Derzeit leben dort fünf Familien bzw. sieben Personen dauerhaft (Gemeinde Moggio Udinese 2017). Während der Sommermonate sowie an den Wochenenden kommen regelmäßig Bewohner aus Moggio Udinese. Dann befinden sich, nach Angaben einer Bewohnerin, teilweise etwa 20 Personen in der Siedlung. Die Siedlung sowie die Häuser vermitteln einen sehr gepflegten Eindruck und zeigt keine offensichtlichen Spuren von Verfall wie in Abb. 13. zu sehen ist. Die meisten Wohnhäuser sind Einfamilienhäuser. Bei den Bewohnern handelt es sich um zwei Arbeiter, ansonsten befinden sich die weiteren Bewohner in Ruhestand. Demzufolge leben gegenwärtig keine Kinder dort. Auch die Felder, die sich zwischen den Häusern sowie am Rande der Straße bergaufwärts befinden, werden regelmäßig gepflegt. Diese werden gegenwärtig zur Selbstversorgung bewirtschaftet. Einige Hausgärten sind dort ebenfalls vorzufinden (siehe Abb. 14). Dies war jedoch nicht immer so. Die heute zum Teil unbewirtschafteten Felder wurden früher genutzt um Heu für die Nutztiere zu
sammeln.


Abb. 13: Blick auf das Ortsende von Saps. Quelle: Google Street View 2018.


Abb. 14: Hausgärten zur Selbstversorgung in Saps. Quelle: Google Street View 2018.

Eine Bewohnerin bringt im Gespräch zum Ausdruck, dass die Freizeitbewohner wenig bis kein Interesse an einer intakten Dorfgemeinschaft haben. Für künftige positive Impulse könnte ein Newcomer sorgen, der Ziegenställe errichten sowie die touristische Infrastruktur zu verbessern beabsichtigt. Saps scheint also nicht zuletzt aufgrund der zahlreichen Freizeitwohnsitze ein belebter Weiler in Bevorchians zu sein. Sowohl Hauptwohnsitz- als auch Freizeitwohnsitzbewohner beleben das gepflegte Bild der Siedlung.
Die Siedlung von Gallizis, in etwa auf 650 m gelegen, befindet sich entlang jener Straße, die weiter nach Belcis, auf rund 700 m, führt. Auch in diesen beiden Siedlungen ist der Eindruck der Gebäude ein gepflegter, wenngleich etwas weniger als in Saps. Elf Bewohner leben derzeit in der Gallizis, fünf in Belcis (vgl. Gemeinde Moggio Udinese 2017). Nach Aussagen eines Dorfbewohners lebt hier ein Newcomer aus Frankreich, der jährlich mehrere Monate hier verbringt, um ein Haus zu renovieren. Außerdem sei eine Initiative von Bewohnern erfolgt, die das Gebäude der ehemaligen Dorfschule gekauft haben und dieses zu renovieren beabsichtigen. Als sozialer Treffpunkt für die Bewohner ist das Gasthaus in der Siedlung von Bedeutung.
Den Aussagen des Bewohners zufolge kehren derzeit einige vormals Ansässige der Ortschaft nun zurück und kümmern sich um die Renovierung der Häuser. Dies konnte auch im Rahmen der Feldforschung beobachtet werden. Die Siedlungen in Bevorchians scheinen demnach ein Gebiet für
zeitweise bis permanente Nutzung sowie für weiteren Zuzug zu sein. Dem entspricht auch das gepflegte, kultivierte Erscheinungsbild.

GRAUZARIA
Grauzaria, gelegen auf rund 500 m bis 550 m, liegt südlich von Dordolla. Derzeit wird das Dorf von 30 Bewohnern besiedelt (vgl. Gemeinde Moggio Udinese 2017). Nach Angaben einer Bewohnerin sind sämtliche Bewohner über 40 Jahre alt, mit Ausnahme von drei Kindern. Das Dorf macht einen
sehr gepflegten, sauberen und aufgeräumten Eindruck. Die Häuser, primär Einfamilienhäuser, sind dekoriert und in sehr gutem, teilweise renovierten Zustand. Der Großteil der Häuser ist bewohnbar. Nur wenige Ausnahmen zeigen sich in Form unvollendeter Baustellen sowie vernachlässigter,
unbewohnbarer Häuser. Aufgrund der Tatsache, dass an vielen der bewohnbaren Häuser die Fensterläden während der Untersuchungen untertags geschlossen waren, kann angenommen werden, dass die Eigentümer diese Wohnungen lediglich an den Wochenenden und/oder in den Ferien nutzen.


Abb. 15: Grauzaria. Quelle: Google Street View (2018).

Die gepflegten Gärten, Gemüsegärten, Bohnenfelder sowie die Streuobstwiesen in unmittelbarer Dorfnähe, bekräftigen den Eindruck, dass Grauzaria ein ziemlich belebter Ort ist. Die Straße, die durch Grauzaria führt, befindet sich ebenso in gut erhaltenem Zustand. Eine Bewohnerin erzählte,
dass diese in den 60er-/70er-Jahren erneuert und asphaltiert wurde. Folgt man diesem Weg jedoch in Richtung Wald, nördlich des Dorfes, so ist dieser Straßenabschnitt bereits sehr stark zugewachsen und scheint ungenutzt zu sein. Des Weiteren sind die umliegenden Flächen entlang dieses Weges zum Großteil von Wald bewachsen. Ein Hochsitz in Dorfnähe, dessen umliegendes Gebiet frei von Wald ist, lässt darauf schließen, dass diese Gegend auch heute noch zur Jagd genutzt wird. Brennholzlager lassen vermuten, dass auch der Wald für private Zwecke genutzt wird. Auffallend ist in Grauzaria, dass im Dorf keine soziale Infrastruktur vorhanden ist. Weder ein Gasthaus, noch ein Lebensmittelgeschäft, noch ein Schulgebäude sind hier zu finden. Nach Aussagen der befragten Bewohnerin war früher zumindest eine Schule im Ort, im Zuge der großen Abwanderung musste diese allerdings schließen. Untypisch ist zudem, dass sich im Dorf weder eine Kirche noch eine Kapelle befindet; die Bewohner mussten zum Besuch des Gottesdienstes nach Dordolla gehen.
Vor drei Jahren kam ein Newcomer-Paar nach Grauzaria, von dem durchaus positive Impulse ausgingen. So befindet sich in deren Besitz eine kleine Käserei; außerdem ließ es erst kürzlich einen Ziegenstall erbauen. Im Interview bedauerten die beiden, dass im Ort keine Einrichtung vorhanden sind, um Tourismus zu fördern bzw. dass keine Maßnahmen getroffen werden, um den Ort touristisch zu nutzen. Dies könnte nämlich zu einer Aufwertung des Ortes beitragen, beispielsweise indem ein Gasthaus errichtet wird.

CHIARANDA
Chiaranda liegt etwa auf einer Höhe von 422m und befindet sich entlang des Gebirgsbach Torrente Aupa sowie der schmalen Hauptstraße (SP112), die talauswärts von Dordolla nach Moggio Udinese führt. Chiaranda ist knapp fünf Kilometer von Moggio Udinese entfernt und weist daher teilweise suburbane Züge auf. So befinden sich in der Siedlung, angrenzend an die Hauptstraße, einige klassische Einfamilienhäuser mit gepflegten Gärten. Durch die Bewohner konnte in Erfahrung gebracht werden, dass diese modernen Häuser teilweise aus dem Fundament alter Bauwerke stammen, die nach den Erdbeben wieder aufgebaut und im modernen Stil renoviert wurden (siehe Abb. 16 und Abb. 17).
Bewegt man sich in östlicher Richtung oberhalb der Hauptstraße in die Siedlung hinein, kommt ein historisches Ortszentrum zum Vorschein. Hierbei handelt es sich meist um dicht aneinander gereihte Wohnhäuser, die weder besonders breit noch tief sind und bis zu drei Stockwerke aufweisen (siehe Abb. 18). Die unbewohnten Häuser wirken verlassen und sind teilweise etwas verfallen.


Abb. 16: Modernes Einfamilienhaus mit Garten in Chiaranda an der Hauptstraße. Quelle: Google Street View, 2018.


Abb. 17: Modernes Einfamilienhaus mit Garten in Chiaranda an der Hauptstraße. Quelle: Google Street View, 2018.

Südlich des Ortszentrums wird eine Fläche, als Gemüsegarten genutzt. Diese Fläche ist Teil einer großen Terrassenlandschaft, die heute hauptsächlich eine Mähwiese darstellt. Insgesamt ist Chiaranda ein ruhiger Ort mit wenig Dynamik, der 25 dauerhafte Bewohner im Jahr 2017 aufweist. Als Vergleichswert gab es dort im Jahr 2001 noch 43 Personen mit dauerhaften Wohnsitz (vgl. Gemeinde Moggio Udinese 2017). Es gibt wenige Zweitwohnsitze und etwas mehr Leerstände.


Abb. 18: Historisches Zentrum Chiaranda. Foto: Florian Meiseleder (2017).

PRADIS
Die nächste Ortschaft, am Eingang des Aupatals gelegen, ist Pradis. Diese ist unterteilt sich in Pradis di Sotto und Pradis di Sopra. Pradis di Sotto ist hierbei der tiefer gelegene Bereich (etwa 369 m) und Pradis di Sopra (etwa 461 m) der höher gelegene, wie die italienischen Namen bereits verraten. Beide Ortsteile sind bezüglich der Bevölkerungsentwicklung und dem Erscheinungsbild sehr
ähnlich und werden daher gemeinsam charakterisiert. Auffallend gegenüber Chiaranda sind die belebten Straßen und die überwiegend bewohnten Häuser. In Pradis di Sotto ist kein Wohnhaus offensichtlich leerstehend. Das ist ähnlich in Pradis di Sopra, dort sind nur wenige Gebäude verfallen, diese befinden sich vor allem am Waldrand und machen teilweise den Anschein wieder hergerichtet zu werden, vergleiche dazu Abb. 19.


Abb. 19: Heruntergekommenes Gebäude in Pradis di Sopra mit Abdeckfolien. Foto: Maya Simon (2017).

Bei den Wohnhäusern handelt es sich überwiegend um Einfamilienhäuser mit recht großem Grundstück, auf denen sich teilweise gepflegten Ziergärten mit Blumen oder aufwändig angelegte Gemüsegärten mit vielen Bohnen, Tomaten und Weinreben befinden. Dieses Erscheinungsbild lässt viele Dauerwohnsitze oder regelmäßig besuchte Zweitwohnsitze annehmen. Zudem haben beide Ortsteile gemeinsam, dass sie von gepflegten Mähwiesen umgeben sind, die ein Landwirt aus Pradis di Sopra in mündlicher Übereinkunft mit den anderen Bewohnern mäht. In beiden Orten sind neue Ställe errichtet worden. In Pradis di Sotto werden Truthähne gehalten und in Pradis di Sopra 20 Milchkühe, die ausschließlich im Stall stehen. Im unteren Teil gibt es eine Bar, die eine private Lokalität der Anwohner von Pradis darstellt und die Dorfgemeinschaft zusammenbringt.


Abb. 20: Bohnen in Pradis di Sopra. Foto: Katharina Rimml (2017).

Im Jahr 2017 lebten in Pradis 65 Einwohner (vgl. Gemeinde Moggio Udinese 2017). Nach den Aussagen der Bewohner sind 47 Personen davon dauerhaft in Pradis di Sopra ansässig und 18 Personen in Pradis di Sotto. In Pradis di Sopra scheint es den Befragungen nach nur wenige Zweitwohnsitze oder Newcomer zu geben. Hingegen lässt Pradis di Sotto einige Zweitwohnsitze mehr vermuten, da ein paar Häuser schön hergerichtet sind, aber nicht den Eindruck vermitteln dauerhaft bewohnt zu sein. Das trifft besonders für die Einfamilienhäuser in Pradis di Sotto an der Hauptstraße zu. Seit 1998 hat die Bevölkerung in Pradis um 13 Bewohner abgenommen, die Statistik der letzten
10 Jahre zeigt dagegen eine gleichbleibende Bevölkerungszahl (vgl. Gemeinde Moggio Udinese 2017), die sich durch die Nähe zu Moggio Udinese erklären lassen könnte. Die Bewohner können die Vorteile einer ländlich geprägten Talregion nutzen, haben aber zugleich einen nicht sehr weiten Arbeitsweg. Neben Chiaranda ist also auch in Pradis die Nähe zu Moggio Udinese spürbarer als beispielsweise in Dordolla. Das bezieht sich nicht nur auf die klassischen Einfamilienhäuser, sondern auch auf das Zugehörigkeitsgefühl. Aus den Gesprächen mit den Bewohnern lässt sich zudem ableiten, dass diese sich weniger dem „hinteren“ Aupatal zugehörig fühlen, als dem direkten Einzugsgebiet der Gemeinde Moggio Udinese.

4.2 SEASONAL TOWNS
BADIUZ
Am Fuße der Crete Grauzaria führt eine steile Straße in die Monticello-Dörfer Badiuz, Borgo di Mezzo und Morolz. Badiuz ist der erste der drei Weiler in der Hochebene bei auf 838 m. Der Ortseingang ist über eine Teerstraße zu erreichen und der CIA-Wanderweg 418 verläuft durch die Ortschaft.
Bis zum Erdbeben 1976 waren die Häuser in Badiuz dauerhaft bewohnt. 1951 zählte das Dorf 26 Einwohner (vgl. Čede & Steinicke 2007; ISTAT 1955). Heute handelt es sich nur noch um Zweit- und Wochenendhäuser, dauerhafte Bewohner gibt es in Badiuz keine. Die Häuser befinden sich meist seit mehreren Generationen im Familienbesitz und werden weitervererbt. Seltener kommt es zum Verkauf einzelner Gebäude, ausschließlich an Besitzer mit weiteren Grundstücke in Badiuz und Umgebung oder Personen mit persönlichem Bezug zum Ort, wie ehemalige Familien. Es ist auffällig, dass viele Hauseigentümer weitere Häuser in Badiuz und Umgebung besitzen.


Abb. 21: Blick auf Badiuz. Quelle: sentierinatura.it, 2018.

Badiuz besteht aus einem Hauptsiedlungskern mit sechs Gebäuden (vgl. Abb. 21) und drei etwa 100 m nördlich gelegenen Häusern. Nachdem die Gebäudesubstanz durch das Erdbebenereignis gänzlich zerstört wurde, begann in den 1980er Jahren der Wiederaufbau. Dieser erfolgt hauptsächlich in Eigenregie um die Baukosten gering zu halten. Laut Igor Jelen ist nach dem Wiederaufbau in Badiuz und Umgebung der traditionell friulanische Baustil nicht mehr erkennbar, vielmehr werden die baulichen Vorlieben der Besitzer im Siedlungsbild deutlich: Das Haus eines Tischlers, 2007 renoviert, ist eher mit Holzelementen geprägt, wie beispielsweise die Balkone (vgl. Abb. 22 (a)), während der Nachbar, ein Steinmetz, ausschließlich Steine verwendet hat, die zum Großteil aus der ehemaligen Bausubstanz des zerstörten Hauses stammen (vgl. Abb. 22 (b)). Des Weiteren fallen auch Dekorationselemente auf, wie die selbstgebauten Fliegenpilzhocker (vgl. Abb. 23 (a)). Es entsteht
der Eindruck, dass aus dem Wiederaufbau für viele Eigentümer eine Art Freizeitbeschäftigung an Wochenenden oder Lebensaufgabe in der Pension geworden ist. Es wirkt so als würden die Bauarbeiten noch die nächsten Jahrzehnte andauern. So kommt es zu einer Symbiose von sowohl alten, als auch neu gebauten und renovierten Häusern und ein gewisses Flair von aktueller Umgestaltung und Veränderung liegt in der Luft.


Abb. 22: Bauweise verschiedener Besitzer in Badiuz. (a) Tischer, (b) Steinmetz. Quelle: sentierinatura.it, 2018.


Abb. 23: Gepflegter Zustand der Bausubstanz und landwirtschaftlichen Nutzfläche. (a) Ziergarten mit Hausfassade, (b) Gemüsegarten. Fotos: Jesabel Künzel (2017); Natalie Soder (2017).

Generell macht Badiuz einen sehr guten Eindruck. Die Häuser sind in gutem Zustand, mit gepflegten Gärten und dekorierten Fassaden. Um die Siedlungsbereiche befinden sich kleinparzellige Ackerflächen und einige bewirtschaftete Gemüsegärten. Auf den anschließenden Weiden werden
von einem pensionierten Bewohner zwei Esel und mehrere Schafe gehalten, um seiner Leidenschaft nachzugehen. Zudem wird aktiv an der Offenhaltung der Weide und Wiesenflächen gearbeitet, um der Verbuschung entgegen zu wirken.

BORGO DI MEZZO
Von Badiuz aus erreicht man über einen Schotterweg das Straßendorf Borgo di Mezzo. Am Ortseingang sind einige Gebäude verfallen und bilden teilweise Ruinen. Wenige Meter weiter ändert sich dieser erste Eindruck der Siedlung. Die Häuser im Zentrum der Siedlung wirken gepflegt und weisen überwiegend renovierte Fassaden auf. In Borgo di Mezzo wird aktuell (September 2017) nur
ein Haus dauerhaft von einem älteren Ehepaar bewohnt, das nach dem Erdbeben 1976 ihr Haus wiederaufgebaut hat. Das bewohnte Haus befindet sich in der Ortsmitte an der rechten Seite von Norden kommend und fällt durch ein gepflegtes Erscheinungsbild mit großem Garten auf. Rund um das Haus sind viele Blumenbeete und -töpfe vorhanden, ein Gemüsegarten mit Bohnen und anderen Gewächsen. An den bewirtschafteten Flächen schließen gepflegte Mähwiesen an. Innerhalb der letzten zehn Jahren hat sich in Borgo di Mezzo die Bevölkerungszahl im Vergleich zu heute kaum verändert (vgl. Gemeinde Moggio Udinese 2017).


Abb. 24: Blick vom Ortsausgang Borgo die Mezzo, hinten links bewohntes Haus, rechts Reihenverbauung. Foto: Joschua Forster (2017).

An der linken Seite des Weges, von Badiuz kommend, befinden sich die übrigen Häuser. Hierbei sticht die Reihenverbauung der Häuser heraus. Der Großteil dieser Häuser weist gepflegte Fassaden auf, aber kaum Blumen. Eines der Reihenhäuser wurde sogar im September 2017 von einem Herrn aus Udine renoviert, der keine familiäre Bindung zu Borgo di Mezzo oder dem Aupatal hat. Das renovierte Haus soll nach seinen Aussagen als ländliches Wochenend- oder Feriendomizil für seine Familie dienen und möglicherweise soll ein Stockwerk vermietet werden (Abb. 25). Wie in Dordolla erhält man auch in Borgo di Mezzo zusätzlich zu dem erworbenen Grundstück ein Stück
Land, wenn die Besitzer jedoch nicht regelmäßig vor Ort sind verwildert es.


Abb. 25: Haus in Borgo di Mezzo. Foto: Katharina Rimml (2017).

Aus den Gesprächen mit der Tochter des ansässigen Ehepaars konnte in Erfahrung gebracht werden, dass bereits vor dem Erdbeben 1976 nur noch wenige Personen in Borgo di Mezzo gelebt haben, etwa vier bis fünf Familien. Die größte Entvölkerung war wohl in den 1950er bis 60er Jahren aufgrund der schlechten Verkehrsanbindung. Zudem konnte in Erfahrung gebracht werden, dass die Häuser in der Reihenverbauung als Zweitwohnsitze genutzt werden. Viele saisonalen Bewohner leben in Städten und suchen in Borgo di Mezzo ein wenig Ruhe. Das Leben dort muss an den individuellen Lebenszyklus anpasst werden. Mit Kindern, die in die Schule gehen müssen ist es nur schwer möglich dauerhaft so abgelegen zu leben, aber später kommen viele Menschen wieder zurück. Wie Pensionisten aus Frankreich, der Schweiz und Deutschland die ihre „Wurzeln“ wiederentdecken und ihre Ferienwohnsitze aufsuchen. Des Weiteren wirken die umliegenden Wiesen der Siedlung recht gepflegt und werden zum Großteil als Schafsweide genutzt (siehe Abb. 26). Nur die Flächen, die östlich an den Waldrand grenzen, sind teilweise stark verbuscht.


Abb. 26: Schafsweide in Borgo di Mezzo. Foto: Michaela Seewald (2017).

Am Ende des Dorfes, ein paar Meter von den Häusern entfernt befindet sich eine Kapelle (siehe Abb. 27), die sehr neu aussieht und eine dekorative Fassade mit Steinelementen aufweist. Dort wird zweimal im Jahr zum Festtag der heiligen Schutzpatrone eine Messe gelesen, den Schlüsseln verwahren die zwei dauerhaften Bewohner.


Abb. 27: Kapelle am Ortsausgang Borgo di Mezzo. Foto: Natalie Soder (2017).

Es lässt sich festhalten, dass Borgo di Mezzo zwar nicht viele Bewohner zählt, jedoch kann hier bei weitem nicht von einer Ortswüstung gesprochen werden. Die Flächen werden in der Ortsmitte überwiegend gepflegt, die Häuser sind fast alle in einem guten Zustand und dienen überwiegend als Ferien- oder Zweitwohnsitze für Familien und Pensionisten, die das Dorf von Zeit zu Zeit besuchen.

MOROLZ
Folgt man der Schotterweg von Borgo di Mezzo nach Morolz, gelegen auf 850m, so zeigt sich auf den ersten Blick der Eindruck einer verlassenen, entsiedelten Ortschaft mit knapp zehn Häusern, die sich ungeordnet entlang des Weges erstrecken (vgl. Abb. 28). Doch bereits ein paar Meter weiter stößt man auf ein völlig verändertes Bild (vgl. Abb. 29): Die Häuser erscheinen in gutem Zustand, liebevoll renoviert, mit Pflanzen auf den Fenstersimsen. Um die Gebäude sind Freiflächen vorhanden, die an den Wald angrenzen. Sie werden hauptsächlich als Mähwiesen und kleinere Obst- und Gemüsegärten genutzt. Die erschwerte Erreichbarkeit der Ortschaft lässt den gepflegten
Zustand nicht unbedingt vermuten. Dort lebt ein Ehepaar, das hier die Pensionsjahre verbringen wird. Laut Löffler et al. (2016) ist hier außerdem ein Amenity Migrant aus der Toskana ansässig, der für ein wissenschaftliches Institut in Paris arbeitet und aufgrund der kommunikationstechnischen
Möglichkeiten von dort aus die Arbeit verrichten kann.


Abb. 28: Ortseingang von Morolz, kommend aus Borgo di Mezzo. Foto: Michaela Seewald (2017).


Abb. 29: Eindrücke aus Morolz. Foto: Michaela Seewald (2017).

4.3 GHOST TOWNS
MOGGESSA DI LÀ


Abb. 30: Vogelperspektive Moggessa di Là. Foto (Drohnenaufnahme): Moritz Waas (2017).

Die Ortschaft Mogessa teilt sich in die zwei Ortsteile Mogessa di Là und Mogessa di Quà, die etwa 500 Meter Luftlinie voneinander entfernt liegen. Sie sind durch einen Fußweg über die Schlucht des Molin-Baches miteinander verbunden. Im Gegensatz zu Moggessa die Quà, welches nur fußläufig
errreicht werden kann, ist Moggessa di Là über eine die unbefestigte Straße von Morolz kommend an das Verkehrsnetz angebunden.
Moggessa di Là ist der nördlich gelegene Ortsteil Moggessas. Die Siedlung liegt auf einem Plateau auf 530 m und ist von dichtem Wald umgeben (vgl. Abb. 30). Die Ortschaft umfasst circa 30 Gebäude, die in Form eines Rechtecks angeordnet sind. Das vorherrschende Baumaterial ist Stein und enge Gassen (vgl. Abb. 31) führen durch die Siedlung. Der überwiegende Teil der Häuser ist bewohnbar und kleinere Gemüsegärten, sowie Pflanzen und Weinreben an den Hausfassaden erweckt den Eindruck, dass sich zumindest zeitweise Personen in Moggessa die Là aufhalten. Dennoch sind einige markante Ruinen vorhanden, die verhältnismäßig stark von der Vegetation überprägt werden (vgl. Abb. 32) und etwa ein Drittel des Gebäudebestandes zeigt erste Verfallserscheinungen, wie in Abb. 33 zusammengefasst. Am Ortseingang befindet sich die Kirche beider Ortsteile und bis 1976 gab es ebenfalls eine Schule, bevor diese vom Erdbeben zerstört wurde.
Bis 2016 war Mogessa dauerhaft besiedelt, bevor der letzte Bewohner ins Altersheim gekommen ist. Trotz des verlassenen Eindrucks konnte über Gespräche mit Personen, die sich dort aufhielten herausgefunden werden, dass ehemalige Bewohner das entlegene Dorf teilweise saisonal besiedeln.
Gründe der Abwanderung waren hauptsächlich bessere Berufschancen und Schulbildung in Städten wie Tolmezzo.


Abb. 31: Enge Gassen in Moggessa di Là. Foto: Michaela Seewald (2017).


Abb. 32: Vegetation erobert Gebäude. Foto: Michaela Seewald (2017).


Abb. 33: Siedlungsstruktur in Moggessa di Là.

MOGGESSA DI QUÀ


Abb. 34: Vogelperspektive Moggessa di Quà. Foto (Drohnenaufnahme): Moritz Waas (2017).

Moggessa di Quà liegt auf 510 m und ist bereits angesprochen nur fußläufig von Moggessa di Là und Moggio Udinese zu erreichen. Moggessa di Quà ist ein eng bebautes Dorf ohne erkennbare Struktur. Die schmalen Gassen zwischen den Häusern führen zu einem keinen Platz im Zentrum der Siedlung. Dort befanden sich früher die Ställe, in denen alle Kühe des Ortes untergebracht waren. Über die Hälfte der Gebäude sind überwiegend verfallen, was an den vielen Ruinen deutlich wird (vgl. Abb. 34 und Abb. 35). Im östlichen und westlichen Teil der Siedlung gibt es dennoch Häuser mit weitgehend intaktem Baubestand. Die verfallenen und erhaltenen Gebäude halten sich circa das Gleichgewicht (vgl. Abb. 36). Durch Blumen und Dekorationselementen an den Häusern und in den kleinen Vorgärten erwecken ein paar der Häuser einen überaus gepflegten Eindruck. Kleinere
landwirtschaftlich genutzte Flächen und ein Esel bestätigen saisonale Besiedlung. Während des Feldaufenthalts 2017 konnten ehemalige Bewohner bei Renovierungsarbeiten beobachtet werden. Nach den Angaben dieser sind derzeit zehn Häuser bewohnbar und werden als saisonale Wohnsitze genutzt. Zwei der Häuser gehören Personen, die nicht aus dem unmittelbaren Umland, sondern aus Görz stammen. Da sich diese hauptsächlich an den Wochenenden in den Sommermonaten in Moggessa die Quà aufhalten, tragen sie aber kaum zum Dorfleben bzw. der Instandhaltung des Gebäudebestands bei.
Vor dem Erdbeben im Jahr 1976 besaß Moggessa di Quà ein kleines Geschäft und ein Gasthaus, die Schule für die Kinder lag in Moggessa die Là. Eine Besonderheit in Moggessa di Quà waren die selbst hergestellten Materialien der Steinmetze für den Hausbau, wie der Mörtel und die eigens gefertigten Dachziegel, die mit dem Unterarm geformt wurden. In den 1950er lebten dort etwa 42 Familien mit je zwei Kühen und ein Schwein, es gab viele Freiflächen, Wiesen und Äcker um das Dorf herum, die heute verwildert und verbuscht sind. Seit etwa 14 Jahren gibt es keine dauerhaften Bewohner mehr dort. Insgesamt wirkt Moggessa di Quà trotz der Bauarbeiten verfallener als Moggessa di Là. Es liegt die Vermutung nahe, dass die fehlende Anbindung an die Infrastruktur einen Beitrag dazu leistet.


Abb. 35: Ruine in Moggessa di Quà. Foto: Michaela Seewald (2017).


Abb. 36: Siedlungsstruktur in Moggessa di Quà.


Abb. 37: Intaktes Steinhaus in Moggessa di Quà. Foto: Michaela Seewald (2017).

RIULADE


Abb. 38: Blick auf Riulade. Foto: Paul Seiler (2017).

Nordöstlich von Moggio Udinese liegt an den Hängen des Monte Masereit, auf der orographisch rechten Seite des Albatals, die Ortschaft Riulade. Die auf etwa auf 850 m gelegene Siedlung teilt sich in Riulade di Sotto und di Sopra, welche wenige Gehminuten voneinander entfernt liegen. Eine direkte Anbindung an das umliegende Straßennetz ist nicht vorhanden, dennoch ist die Ortschaft binnen weniger Minuten Fußmarsch von der asphaltierten Straße erreichbar. In Riulade zeigen sich die Auswirkungen des Erdbebens am deutlichsten. Während die Ortschaft einst über hundert Einwohner zählte und eine Schule besaß, gilt sie heute als klassisches Beispiel eines Geisterdorfes. Im Jahr 1951 lebten 55 Personen in Riulade (vgl. Čede & Steinicke 2007; ISTAT
1955). Heute gilt die Siedlung als weitgehend verfallen und die früheren Wohnhäuser werden langsam von der Natur (zurück)erobert (vgl. Abb. 39). Beim Blick auf die Überreste der ehemaligen Gebäude entsteht der Eindruck, als wären die früheren Bewohner von der einen auf die andere Stunde verschwunden und seither kein Mensch diesen Ort betreten hat: Die Haustüren brechen langsam aus dem Fundament, Kachelöfen stehen an den Hauswänden und die Bänke vor den Häusern beginnen langsam zu vermodern (vgl. Abb. 40). Zwischen den Ruinen wurden in den letzten Jahren drei Häuser für den sporadischen Aufenthalt hergerichtet (vgl. Löffler et al. 2014). Auch
kleinere Gärten, in denen Gemüse angebaut wird, lassen auf eine temporäre Nutzung schließen.


Abb. 39: Haus in Riulade. Foto: Natalie Soder (2017).


Abb. 40: Haus in Riulade. Foto: Jesabel Künzel (2017).

Auf den wenigen (noch) offen gehaltenen Wiesen, die sich unmittelbar um den ehemaligen Siedlungskern befinden, lässt sich ebenso wie auf den Feldwegen im und um das Dorf die beginnende Verbuschung erkennen. Wenige Meter entfernt erstreckt sich dichter Wald. Im Vergleich zu den anderen Ortschaften im Aupatal, sticht Riulade am bildhaftesten als Geisterdorf heraus. Zwischen dem verfallenen Gebäudebestand sind zum Teil die sporadisch genutzten
und renovierten Häuser erst auf den zweiten Blick als solche erkennbar und auch die umliegenden Flächen sind bis auf wenige Quadratmeter von sehr starker Verbuschung überprägt. Riulade war die einzige Ortschaft, in der während der Feldarbeit im September 2017 keine Person anzutreffen war. Laut einem Artikel in der Tiroler Tageszeitung von Markus Schramek (2017) verließen vor 46 Jahren die letzten Bewohner das Dorf. Obwohl das Erdbebenunglück zu den Hauptgründen der Entvölkerung zählen dürfte, könnte unter anderem die schlechte Infrastrukturanbindung im Vergleich
zu manch anderer Ortschaft einen Beitrag geleistet haben.

5 FAZIT
Abschließend lässt sich zusammenfassen, dass es drei dominante Siedlungstypen im Aupatal gibt. Die Typisierung vivid towns, deren Häuser überwiegend im guten Zustand sind und dauerhaft bewohnt werden. Dann der Siedlungstyp seasonal towns, der einen überwiegend intakten Gebäudebestand mit teilweise dekorativen Fassaden aufweist und vermehrt saisonal genutzt wird. Die letzte Typisierung, die ghost town fasst die Dörfer zusammen, die weder ganzjährig noch überwiegend saisonal bewohnt werden und deren Häuser zu einem großen Teil verfallen sind. Auffällig ist hierbei, je schlechter eine Ortschaft an das Straßennetz angebunden ist, desto mehr nimmt der Gebäudeverfall zu und die Wohndauer ab. Die Typisierungen sind zwar ein nützliches Werkzeug, um einen Überblick der dominanten Siedlungsbilder im Aupatal zu erhalten, jedoch gehen hierbei spezifische Informationen der Siedlungen etwas verloren. Denn die Zuordnung in einen Siedlungstyp erfolgt nach den überwiegenden Merkmalen einer Siedlung, jedoch können Ausprägungen, die nicht überwiegen, trotzdem von Bedeutung
sein. So können positive Veränderungen, wie Renovierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen, Interesse an einer Ortschaft wecken und mehr Menschen anziehen oder durch zunehmenden Verfall das Gegenteil bewirken. Hierbei können Zuwanderer, die teilweise außeralpiner Herkunft sind,
aber auch Rückkehrer, die die Kulturlandschaft und den Gebäudezustand verändern, Impulsgeber sein, die ein anderes Siedlungsbild hervorrufen und die Siedlung sogar nachhaltig verändern können.

6 LITERATUR
Čede, P. & Steinicke, E. (2007): Ghost Towns in den Ostalpen. Das Phänomen der Entvölkerung im friulanischen Berggebiet (Italien). In: Geographica Helvetica 62(2), S. 93–103.
Gemeinde Moggio Udinese (2017): Bevölkerungsstatistik der Gemeinde Moggio Udinese.
Google Street View (2018).
Istituto Centrale di Statistica (ISTAT) (1955ff.): Censimento, generale della Popolazione 1951, 1961, 1971, 1981 ,1991, 2001. Rom.
Löffler, R.; Beismann, M; Walder, J. & Steinicke, E. (2014): New Highlanders in traditionellen Abwanderungsgebieten der Alpen. Das Beispiel der friulanischen Alpen. Journal of Alpine Research, 102(3): 1–17.
Löffler, R.; Walder, J.; Beismann, M.; Warmuth, W. & Steinicke, E. (2016): Amenity Migration in the Alps: Applying Models of Motivations and Effects to 2 Case Studies in Italy. In: Mountain Research and Development, 36(4): 484–493.
Pilgram, G.; Berger, W.; Koroschitz, W. & Pilgram-Ribitsch, A. (2010): Die letzten Täler. Wandern und Einkehren in Friaul. Klagenfurt, DRAVA.
Schramek, M. (2017): Alpendörfer im Überlebenskampf. Tiroler Tageszeitung, 05.10.2017. https://mobileapps.tt.com/wirtschaft/markt/13513633-91/alpend%C3%B6rfer-im-
%C3%BCberlebenskampf.csp?tab=article [Zugriff am 23.01.2013].
Sentierinaturi.it (2018): http://www.sentierinatura.it/easyne2/LYT.aspx?Code=SentieriNatura&IDLYT=1970&ST=SQL&SQL=ID_Documento=2618 [Zugriff am 21.01.2018].
Wikipedia (2018): Aupatal (Friaul). https://de.wikipedia.org/wiki/Aupatal_(Friaul) [Zugriff am 21.01.2018].

7 ANHANG (ist in der Datenbank zu finden)
Abb. 41: Siedlungsbilder im Aupatal.
Abb. 42: Settlement structure in the Aupa Valley.
Abb. 43: La struttura d’abitato in Val Aupa.